Im Nachhinein betrachtet mutet der Titel des letzten Queensrÿche-Studioalbums schon ziemlich ironisch an. Als „Dedicated To Chaos“ herauskam, wusste die Öffentlichkeit noch nichts von den Querelen, die sich hinter den Kulissen der Truppe aus Seattle abspielten und offenbar schon länger anhielten. Man munkelt ja, Frontmann Geoff Tate habe die restlichen Bandmitgliedern in eine eher softere, kommerziellere Richtung gezwungen und immer wieder mit Ausstieg gedroht, falls sie sich nicht seinem Willen fügten. Ob das nun stimmt oder nicht – „Dedicated To Chaos“ war der vorläufige Tiefpunkt in einer Reihe von seit „Promised Land“ (wohlwollend ausgedrückt) allenfalls durchschnittlichen Alben; Kollege Jörg war mit 4,5 Punkten noch relativ gnädig.
Die Trennung von Tate war unausweichlich, auch wenn fragwürdig noch eine freundliche Formulierung für die kindergartenmäßige Art und Weise ist, wie sie erfolgte. Bekanntermaßen ist der Rechtsstreit um den Bandnamen noch in vollem Gange, sodass es momentan – was ebenfalls ziemlich albern erscheint – zwei Versionen der Combo gibt. Geoff Tates Variante war etwas schneller und veröffentlichte bereits Ende April mit „Frequency Unknown“ ein neues Album, das sowohl bei der Fachpresse als auch den Fans gnadenlos durchfiel. Wegen seiner Verbal-, Spuck- und Prügelattacken war er ja sowieso schon der Buhmann und hatte es mit dieser hingerotzten Nulpenscheibe, die als Negativkrönung auch noch mit einem oberpeinlichen Cover bestückt war, tatsächlich geschafft, auch noch die letzten wankelmütigen Fans zu vergraulen.
Die meisten schlugen sich ohnehin auf die Seite der Instrumentalisten, die sich mit (inzwischen schon wieder Ex-)Crimson Glory-Fronter Todd La Torre zusammenrotteten – diejenigen, die La Torre lediglich als Tate-Rip-off ansehen, befinden sich dann doch eher in der Unterzahl. Die Erwartungshaltung war – gerade auch u.a. nach dem grandiosen Auftritt beim Rock Hard Festival 2013 – ins schier Unermessliche gestiegen. Schließlich besaßen Drummer Scott Rockenfield, Bassist Eddie Jackson und die beiden Gitarristen Michael Wilton und Parker Lundgren mit Todd endlich wieder die Freiheit, das zu tun, worauf sie Lust hatten.
Dass sie ihre neue Platte schlicht „Queensrÿche“ tauften, dürfte nicht von ungefähr kommen, auch wenn es ein bisschen komisch erscheint, schließlich gab es anno 1983 bereits eine EP, die genauso hieß wie die Band selbst. Nichtsdestotrotz ein klares Statement auch in Richtung Geoff Tate – doch kann die Scheibe diese durchaus vollmundige Betitelung auch rechtfertigen? Tatsächlich ist die Angelegenheit zunächst ein zweischneidiges Schwert. Niemand erwartet ein zweites „Operation: Mindcrime“ (ach halt, da gab es ja eines, und das war Mist…), doch besser als das grottenschlechte „Dedicated To Chaos“ oder das stinklangweilige „American Soldier“ (oder eben „Frequency Unknown“) konnte es ja nur werden. Nach dem ersten Durchgang bleibt jedoch vorerst einmal Enttäuschung zurück; irgendwie zündet das Ganze nicht und die mitunter unausgeglichene, überladene Produktion, bei der die Drums um einiges zu laut abgemischt wurden, trägt einen nicht unerheblichen Teil zu diesem Empfinden bei.
Daher muss man sich etwas in das Album reinhören, bevor man gewahr wird, dass diese Scheibe die erste seit langem ist, die es verdient, den Namen Queensrÿche auf dem Cover stehen zu haben. Nach einigen Durchläufen setzen sich die Hooks fest und die anfängliche leichte Enttäuschung weicht: „Where Dreams Go To Die“ ist ein guter, melancholisch angehauchter Opener mit mitsingkompatiblem Refrain, „Spore“ besitzt ein gut treibendes Mainriff und einige hymnische Gesangspassagen, während „In This Light“ sehr melodisch ausgefallen ist und einen ebenfalls sehr mitsingbaren Chorus sein Eigen nennen darf.
Wer das neue Line-up schon live gesehen hat, dem war „Redemption“ bereits vorher bekannt und hierbei dürfte es sich wohl auch um den stärksten Track von „Queensrÿche“ handeln – Killer-Refrain und die gesprochenen Sequenzen kommen richtig cool. Auch „Fallout“ wurde schon live dargeboten, und mit ihrem schön schweren Mainriff und dem melodischeren Chorus als Gegenpol kann auch diese Nummer einiges. Überhaupt agiert die Band durchaus abwechslungsreich: „A World Without“ ist schleppend und düster ausgefallen, das finale „Open Road“ hingegen wieder melancholisch, aber doch mit angenehmer Leichtigkeit versehen, während „Don’t Look Back“ (auch dieser Titel dürfte nicht von ungefähr kommen) einfach nur geil nach vorne rockt.
Insgesamt betrachtet können Queensrÿche immerhin mit dem besten Album seit Jahren aufwarten. Die Spielfreude ist wieder da – die ausgiebigen Doppel-Leads, die sich ebenfalls erst nach ein paar Rotationen so richtig offenbaren, machen viel Spaß, und das Songwriting ist ebenso endlich wieder klar über dem Durchschnitt. Ausbaufähig ist das Ganze dennoch: „Vindication“ beispielsweise ist nicht gelungen und der Sound des Albums wie angedeutet nicht wirklich optimal, wofür es Abzüge in der B-Note geben muss. Auch die Spielzeit ist mit 35 Minuten (bei einem Intro und einem Interlude!) etwas kurz ausgefallen. Was Todd La Torre betrifft, so bringt er eine exzellente Leistung und es wäre unfair, ihn als bloße Kopie von Geoff Tate zu bezeichnen. Außerdem: Hätte er einen komplett anderen Stil, wären die Leute auch nicht zufrieden. Ein ausführliches Interview mit dem Frontmann wird es übrigens in Kürze auf The-Pit.de zu lesen geben.