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Porcupine Tree: The Incident

Wieder mal ein Meisterwerk
Wertung: 10/10
Genre: Progressive Rock, Psychedelic, Alternative
Spielzeit: 76:30
Release: 11.09.2009
Label: Roadrunner Records

Steven Wilson lässt sich wahrlich immer etwas Neues einfallen. Anfang des Jahres überraschte er mit dem Alternative-lastigen „Insurgentes“, seinem ersten Soloalbum, und auf den letzten drei Porcupine Tree-Alben „Fear Of A Blank Planet“, „Deadwing“ und „In Absentia“ bewegte er sich mit seiner Band eindeutig mehr in Metalgefilden, was auf die langjährige Zusammenarbeit mit Opeth zurückzuführen ist – doch scheint es für ihn wieder an der Zeit sein, etwas mehr back to the roots zu gehen. 
 
Ja, „The Incident“ ist insgesamt sicher wieder etwas psychedelischer geworden, aber Porcupine Tree wären nicht Porcupine Tree, würde der neueste Output nicht trotzdem anders als alles klingen, was die Gruppe bisher herausgebracht hat. Interessant ist ja schon allein das ehrgeizige Gesamtkonzept: Auf der ersten CD befindet sich das Herzstück des Albums, der Titelsong, welcher bescheidene 55 Minuten dauert. Zwar ist dieses Mammutstück wiederum in 14 einzelne Tracks unterteilt, doch ist der musikalische rote Faden relativ klar herauszuhören, vor allem weil sämtliche Stücke makellos ineinander überfließen, aber auch, weil manche Motive an anderer Stelle wiederkehren.  

Nach dem kurzen Intro „Occam’s Razor“ steht mit „The Blind House“ am Anfang ein Porcupine-Tree-typischer, eingängiger Rocker zu Buche, der mit seinem wuchtigen Mainriff auch auf einem der eingangs erwähnten vorigen Alben hätte stehen können. Danach jedoch wird es beim Doppelpack „Great Expectations“ und „Kneel And Disconnect“ etwas ruhiger, wobei besonders letzteres durch die wunderschönen mehrstimmigen Gesangsarrangements, für die Steven Wilson ja so bekannt ist, hervorsticht. Nahtlos geht es weiter mit „Drawing The Line“, einem laut Wilson „typischen Beziehungssong“, der mit verfremdeten Vocals beginnt und dadurch sehr beklemmend und verloren anmutet, um dann jedoch mit einem ziemlich treibenden Chorus zu überraschen. Völlige Gegensätze und trotzdem passt es – doch das macht diese einzigartige Band eben aus, man weiß nie, was kommt.

Noch krasser sollen die Gegensätze allerdings beim Titelsong werden. Bei „The Incident“ betreten die Engländer totales Neuland – so düster habe ich Porcupine Tree noch nie erlebt. Bedrohliche Synthesizerklänge vermischen sich mit geflüsterten Gesangspassagen, einem kalten Drumcomputer und vereinzelt aufjaulenden Klampfen. Das Stück baut sich in völlig überragender Manier langsam auf, nach und nach kommen extrem finsteres, harsches Riffing und Schlagzeug dazu – und letztlich löst sich alles in einer geradezu befreienden Sequenz auf, in der es passenderweise „I want to be loved“ heißt. Wie schaffen die es bloß, diese absoluten Kontraste so stimmig miteinander zu vereinen? – Immer wieder faszinierend. Extremer kann, in gewisser Weise zumindest, auch die härteste Metalband nicht agieren. Zu dem Stück wurde Wilson übrigens – und damit schlussendlich auch zum textlichen Gesamtkonzept, in dem es um einschneidende Veränderungen im Leben geht, nach denen nichts mehr so ist wie vorher – inspiriert, als er auf der Schnellstraße Zeuge eines tödlichen Autounfalls wurde und die Polizei ein Schild aufstellte, auf dem „Police – Incident“ stand. Man kann dem Porcupine-Tree-Mastermind nur recht geben, wenn er sich da sagte: Was für ein kaltes und unpersönliches Wort, wenn man bedenkt, dass gerade die Leben mehrerer Menschen mit einem Schlag ausgelöscht wurden.

Die folgenden Stücke „Your Unpleasant Family“ und „The Yellow Windows Of The Evening Train“ sind zwar zwei nur sehr kurze Tracks, die zum absoluten Highlight der Scheibe überleiten, doch auch diese verdienen durchaus Aufmerksamkeit. Ersteres glänzt durch herrliche Harmoniewechsel und letzteres ist ein wunderbar entspanntes, ruhiges Vorspiel für das knapp zwölfminütige Epos „Time Flies“, dem längsten Song des Albums. Mit groovigen Akustikgitarrenklängen eingeleitet, schaukelt sich der Track zu einem unglaublich vielschichtig arrangierten Stück empor, das stellenweise stark an „Dogs“ aus dem Album „Animals“ von Pink Floyd erinnert, und ohne Zweifel zu einem der besten Songs der gesamten PT-Discographie gezählt werden muss. Besonders geil sind die Gitarren, die nach dem Chorus erklingen und einem das Gefühl verleihen, man würde schweben.

„Degree Zero Of Liberty“ wiederholt dann die Akkorde aus dem Opener „Occam’s Razor“, bevor mit „Octane Twisted“ der nächste, streckenweise wieder recht Metal-lastige, insgesamt aber wieder unheimlich vielschichtige Song erklingt, dessen Motive bei „The Seance“ wieder aufgegriffen und im melancholische Akustikgewand wiederholt werden – genial gemacht.
Das anschließende „Circle Of Maniacs“ ist ein rhythmisch komplexes, kurzes Instrumental in der Tradition von „Mother And Child Divided“, dem seinerseits das letzte Stück „I Drive The Hearse“ folgt, einer traurigen, zum Heulen schönen Ballade mit einem sehr einprägsamen Refrain.
Das Zwischenfazit ist schon mal eindeutig: „The Incident“ ist ein Meisterwerk seinesgleichen. Die Stücke sind teilweise sehr unterschiedlich, man erlebt eine emotionale Achterbahnfahrt, doch natürlich hat Wilson nichts dem Zufall überlassen: Die Übergänge sind immer logisch und nachvollziehbar und der Hörer erlebt eine einzigartige 55-minütige Reise.

Allerdings sind da ja noch vier weitere Stücke, die es ebenfalls in sich haben und welche auf einer Extra-CD untergebracht wurden, um sie klar von „The Incident“ abzugrenzen. 
„Flicker“ und „Black Dahlia“ sind zwei gut zugängliche, psychedelisch gefärbte Songs mit schönen Gesangslinien, „Bonnie The Cat“ hingegen ein recht harter Brocken, der allerdings einmal mehr zeigt, dass Porcupine Tree die Ideen noch lange nicht ausgegangen sind und dass sie immer wieder mit neuen Experimenten überraschen. Besonders hervorzuheben sind hier die unfassbar komplexen rhythmischen Strukturen – Gavin Harrison beweist erneut, dass er einer der besten Schlagzeuger unseres Planeten ist. 
Und „Remember Me Lover“ ist ebenfalls ein recht komplexes Stück, das in seiner Dynamik sehr vielseitig ist und so die Vorstellung von jemandem hervorruft, der sich mit Wehmut an die Höhen und Tiefen einer verflossenen Liebe erinnert. Erstklassig!

Es bleibt dabei: Porcupine Tree waren, sind und bleiben eine der kreativsten und interessantesten Bands überhaupt. Man wird immer wieder davon überrascht, was Steven Wilson alles aus dem Hut zaubert. Wie schon auf „Nil Recurring“ erkennbar, geht man wieder in die etwas psychedelischere Richtung, letztlich jedoch wird praktisch jede Phase der Bandgeschichte abgedeckt. So manche Passage wird natürlich den ein oder anderen Durchlauf benötigen, aber das ist bei dieser Band ja nichts Neues und was gibt es Schöneres, als bei jedem Durchlauf neue Details zu entdecken? Ich kann gar nicht anders, als bei diesem erneut grandiosen Werk die Höchstnote zu zücken. Anspieltipps schenke ich mir, denn man muss dieses Album selbstredend am Stück genießen.

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