Zugegeben, der Teaser ist schon ein arger Spoiler – auf der anderen Seite: Hatte wirklich jemand ernsthaft erwartet, dass Opeth, nachdem sie sich ab „Heritage“ relativ radikal von todesmetallischen Elementen abgewendet hatten, nach nur zwei Alben wieder zum Prog-Death zurückkehren, als sei nichts gewesen? Der mystische Titel „Sorceress“ und das verstörende Coverartwork (großartig, freue mich schon, wenn das Vinyl zu Hause eintrudelt) ließen sicherlich so manchen Fan hoffen, aber diese Hoffnung kann mittlerweile wahrscheinlich komplett begraben werden.
Growls gibt es also auch diesmal nicht, dafür offenbart Mikael Åkerfeldt neue Facetten seiner Klarstimme und experimentiert in dieser Hinsicht munter weiter. Auch insgesamt ist der Todesstahl-Anteil an der Platte wie eigentlich zu erwarten äußerst überschaubar, vielmehr zieht sie ihre Inspiration ebenfalls wenig überraschend vornehmlich aus den unendlichen Weiten der Sechziger und Siebziger Jahre. Jeder Fan weiß natürlich, dass Mikael besonders aus jener Zeit so ziemlich alles sammelt, was er in die Finger bekommen kann, und vor allem auf obskures, schräges Zeug steht.
Nur logisch, dass dies auch auf „Sorceress“ zum Zuge kommt. Hinterließ „Heritage“ streckenweise den Eindruck, dass hier eine Band nach einer klaren Zäsur in ihrer Karriere ein wenig auf der Suche nach ihrem zukünftigen Sound ist, wirkte „Pale Communion“ reifer, durchdachter und dadurch songschreiberisch stärker, außerdem mehr am klassischen Prog Rock orientiert. Das nunmehr zwölfte Studioalbum der Schweden ist wiederum ein Schritt vorwärts. Oder zur Seite. Oder rückwärts. So hat der Opeth-Chefdenker die Scheibe selbst beschrieben und diese Schilderung ist gar nicht mal so verkehrt. „Sorceress“ ist deutlich abgefahrener und benötigt definitiv mehr Zeit, um verstanden zu werden.
Der psychedelische und krautrockige Anteil ist höher als auf dem Vorgänger, Åkerfeldt erklärte außerdem, dass er inzwischen auch eine Vorliebe für jazzige Sounds entwickelt habe – doch bei einem neuen Opeth-Longplayer erwartet ja inzwischen praktisch jeder etwas ganz Neues, Bahnbrechendes. Inwiefern das vorliegende Album diese Erwartung erfüllen kann, muss letztlich jeder für sich entscheiden, ein Stück wie „Strange Brew“ (mit knapp neun Minuten der längste Track im Programm) macht seinem Titel jedoch alle Ehre. Mit sehnsuchtsvoll seufzenden Gitarren und einer kurzen Akustikpassage, die gut und gerne auf „Still Life“ hätte stehen können, sowie säuselndem Gesang ruhig beginnend, mutiert das Epos schließlich zu einem Stück voll zahlreicher Wendungen, bei denen proggig-abgefahrene und bluesig angehauchte Classic-Rock-Sequenzen zum Tragen kommen, bevor man zum Anfang zurückkehrt, welcher dann erneut eine Variation erfährt.
Eine hart zu knackende Nuss, die die heutigen Opeth letztlich aber recht gut repräsentiert; mit ihrer Vielfalt liefert sie den unumstößlichen Beweis, dass die Herren auch ohne Death Metal immer noch wahnsinnig dynamisch agieren und vor allem auch trotzdem noch nach Opeth klingen, ohne sich plump selbst zu zitieren. Auch „Chrysalis“ bietet zunächst ein Wechselspiel zwischen treibenden Riffing und angeproggten vertrackten Läufen, die mit coolen Ideen interessant variiert werden (inklusive sowohl kurzer Synthesizersolopassage als auch Blackmore/Lord-mäßigem Orgel/Gitarre-Duell), bevor das Lied entspannt und melancholisch, mit wirkungsvollem Flanger-Effekt unterlegt, ausklingt.
„The Seventh Sojourn“ hingegen beschwört mit seinen Percussions „Closure“-Atmosphäre herauf und wildert dank opulenter Streichereinsätze in orientalischen Gefilden, endet aber ebenfalls mit perlendem Klavier und sanften, mehrstimmigen Vocals. Wie eingangs erwähnt, lohnt es sich hier genauer hinzuhören: Die Gesangsarrangements sind erneut vom Allerfeinsten und mit ebenso viel Können wie Gefühl vorgetragen. Bei den zahlreichen Harmonien kommt die gute Steven Wilson-Schule zum Vorschein; dessen Backkatalog dürfte die Band auch ausführlich studiert haben, aber bei Åkerfeldts Freundschaft zu Wilson natürlich kein Wunder. Wie zerbrechlich der Frontmann selbst bei einem kurzen Zwischenstück wie „Sorceress 2“ seine Stimme einsetzt, sucht seinesgleichen.
In den leichter zugänglichen Stücken wie dem folkigen, beschwingten „Will Of The Wisp“, das ja schon zuvor auf YouTube veröffentlicht wurde, oder dem gemütlich in Walzer-Manier marschierenden „A Fleeting Glance“, das im kraftvollen Refrain regelrecht aufblüht, sind es in erster Linie die herrlichen Gesangsmelodien, die einen gleich mitsummen lassen und mitreißen.
Ein Schritt zurück und einer zur Seite – das ist wohl tatsächlich die beste Umschreibung für die Weiterentwicklung nach „Pale Communion“. Für konventionelles, vorhersehbares Songwriting sind andere zuständig, Opeth dagegen zeigen einmal mehr, dass sie ihr eigenes Ding durchziehen. „Sorceress“ ist wahrlich sehr abwechslungsreich, aber auch einigermaßen kauzig und erfordert Geduld. Der Titelsong, bekanntlich ebenfalls im Vorfeld bei YouTube gepostet, ist an sich eine gute Zusammenfassung dessen, was den Hörer erwartet, und nur der Anfang eines interessanten Trips speziell durch die verschiedenen Bandphasen und allgemein durch die mannigfaltige Farbenpracht der Sechziger und Siebziger Jahre. Um ein Konzeptalbum handelt es sich laut Mikael Åkerfeldt trotz Titel wie „Sorceress“ und „Sorceress 2“ sowie „Persephone“ und „Persephone (Slight Return)“ übrigens ausdrücklich nicht.