Black-Metal-Bands beschäftigen sich immer wieder detailreich mit Kriegsgeschehen und den entsprechenden geschichtlichen Hintergründen. Die brutale Musik bietet sich für das Thema an, wobei oftmals fiktive Geschichten erzählt werden, die in wahre Ereignisse eingewoben werden. Die Offenburger Formation Nocturnis handhabt es auf der aktuellen und ersten Full-Length-Scheibe „Unsegen“ ähnlich und zeichnet in sechs brutalen Songs das Bild eines jungen Soldaten im Ersten Weltkrieg, der versucht, das Geschehene zu verarbeiten. Das Artwork wurde entsprechend gewählt und stammt bereits aus dem Jahr 1919 („The Dead-Stretcher-bearer“ von Gilbert Rogers).
Wo manchmal gerade im Black Metal die Lyrics wegen Unverständlichkeit zu kurz kommen, versteht man hier Sänger Raphael über weite Strecken erstaunlich gut. Überhaupt macht der Mann keine Gefangenen: Superfiese Vocals thronen über einem kristallklar produzierten Instrumentalteppich, der es trotzdem schafft, die nötige Brutalität zu atmen und keineswegs poliert daherkommt. Der Fünfer steigt dann auch mit „Am Rande“ gleich standesgemäß mit Blastbeat-Gewitter und düsterer Atmosphäre ein, die Screams sind über allen Zweifel erhaben und auch die verhältnismäßig melodiöse Zwischenpassage tippt durch die pfeilschnellen Drums nicht mal ansatzweise auf die Bremse.
Ein richtiges schönes Doppelpack bietet der zweiteilige Titeltrack: Kompromisslos und brutal prügelt sich die Truppe durch das knapp sechs Minuten lange „Unsegen I“, wir befinden uns mitten im Kriegsgeschehen, da ist dann auch keine Zeit für eine Verschnaufpause, im Gegenteil – die Band scheint nochmals Fahrt aufzunehmen, bevor ein unheilschwangeres Intermezzo einsetzt, bei dem der geneigte Hörer natürlich auch nicht zur Ruhe kommen kann. „Unsegen II“ fährt noch mal härtere Geschütze auf, bohrt sich mit flirrenden Gitarren und bombastischen Vocals in die Gehörgänge und kreiert so ein akustisches Flakfeuer, dem man sich kaum entziehen kann.
Dass es nicht nur blind auf die Fresse gibt, zeigen immer wieder eingestreute ruhigere Passagen wie im Intro zu „Reue“, die natürlich meist nur die Ruhe vor dem Sturm anzeigen. Gesprochene, harsche Vocals lassen ein bisschen an Eisregen denken, aber den Vergleich muss sich wahrscheinlich jede extreme Metalband mit deutschen Texten mal anhören – und es ist ja auch alles andere als eine Beleidigung. „Reue“ präsentiert sich jedenfalls insgesamt in deutlich gemäßigterem Tempo als die bisherigen Songs, büßt dabei aber keineswegs an Intensität ein. Das finale „Zerrissenheit“ fährt dann nochmal alle (instrumentalen) Geschütze auf, kommt wahnsinnig unruhig daher und überzeugt mit sehr bedrohlichen und düsteren Passagen, die stellenweise schon ins Melancholische, Bedrückende abdriften – selten landet mal ein Instrumentalstück auf der Liste der Anspieltipps, aber hier kommt man nicht drumherum. Ein starker Abgang für ein bewegendes Album, das natürlich durch die schiere Brutalität der Thematik teils beinah unmenschlichen Gesang präsentiert. Alle Black-Metal-Fans dürften sich jedenfalls die Finger nach der Scheibe lecken – die Debüt-EP „Aporia“ von 2020 sollte man dann vielleicht auch mal auschecken...