Großartige Bands wie Opeth, Dream Theater und Katatonia, die alle auf ihre eigene Art und Weise mit progressiven Elementen arbeiten, haben in diesem Jahr bereits Alben auf den Markt gebracht – und doch durfte man 2016 als Progger durchaus am neugierigsten auf die Veröffentlichung einer Combo sein, die eigentlich nicht unbedingt für Prog Metal steht: Die Ankündigung Insomniums, eine Scheibe herauszubringen, die lediglich einen einzigen Song von 40 Minuten Länge enthält, musste jeden Freund derart gelagerter Klänge aufhorchen lassen.
Nicht einmal Moonsorrow (die ja ebenfalls in diesem Jahr mit „Jumalten Aika“ ein neues Langeisen herausbrachten), Landsleute und inzwischen außerdem Labelkollegen von Insomnium, haben ein Stück von solch einer gigantischen Länge im Programm, bauen ihre schlachtvertonenden Epen allerdings auch komplett anders auf. Aber der Reihe nach: Bereits vor einigen Jahren schrieb Sänger und Bassist Niilo Sevänen eine Wikinger-Kurzgeschichte, die in Finnland sehr erfolgreich war und die in Buchform zusammen mit dem Album nun auch international erscheinen soll. Liegt ja auch nahe, wenn man als Musiker eine Geschichte geschrieben hat, diese nun auch mit seiner eigenen Band zu vertonen, noch dazu, wenn sie offensichtlich sehr gut angekommen ist.
Selbstverständlich stellt sich die spannende Frage, wie bzw. ob die Jungs es geschafft haben, den Hörer mit einer einzigen Komposition über so einen langen Zeitraum bei der Stange zu halten. Sicher, einen recht epischen Sound wiesen Insomnium schon immer auf, aber eine Garantie für einen schlüssigen und interessanten Longtrack ist das nun einmal nicht automatisch. Zwar mit einem ruhigen Intro beginnend, welches einen gleich in eine märchenhafte Welt aus Schnee und Eis zu entführen scheint, kommt das Quartett dennoch schnell zur Sache und schon nach nicht einmal zwei Minuten werden einem ordentlich Blastbeats um die Ohren gehauen.
Alsbald findet sich das Stück im Midtempo wieder und wechselt zwischen härteren und sanfteren Passagen mit Akustikgitarren, letztere mit sparsam dosiertem, aber dadurch nur umso effektiveren Klargesang von Gitarrist Ville Friman unterlegt. Die Übergänge hierbei sind so akkurat gestaltet, dass sie kaum auffallen; der Fluss der Mammutkomposition bis zur etwa 13. Minute kaum unterbrochen, erst dann erfolgt die erste echte Zäsur. Das Besondere hierbei: Die wie schon beim Vorgänger „Shadows Of The Dying Sun“ erneut von Teemu Aalto vorgenommene Produktion (Mix: Dan Swanö) ist wiederum sehr geschliffen und „in your face“ (manchem wohl schon zu direkt und steril), doch wird die Atmosphäre Insomnium auch diesmal zu jedem Zeitpunkt gerecht, Natur, Winter und finnische Melancholie sind allgegenwärtig.
Auch ertönen mal wieder so einige Melodien und Riffs, die einem von vorigen Alben zumindest etwas bekannt vorkommen – doch komischerweise stört das kein bisschen. Bei anderen Bands würde man möglicherweise von Selbstkopie sprechen, bei der Truppe aus Joensuu an der russischen Grenze freut man sich vielmehr, wenn diese wohligen, wabernden Gitarren, die für diese Kapelle so typisch sind, erklingen. Alte, bekannte Stärken bündeln und zu etwas Neuem formen – das haben Insomnium ganz klar verinnerlicht. Bei „Winter’s Gate“ decken sie alle Facetten ihrer Karriere in atemberaubenden 40 Minuten ab, beeindrucken mit Vielfältigkeit, traumhaften Melodien und kompositorischem Können, denn der rote Faden wird nie aus der Hand gegeben und es wird erkennbar mit wiederkehrenden Motiven gearbeitet – keine Sekunde ist hier überflüssig. Deswegen handelt es sich auch um wirklich einen Track, auch wenn der Übersicht halber die digitale Version in sieben Parts unterteilt wurde.
Bei solch einem Umfang sind mehrere Durchläufe natürlich Pflicht, dennoch weiß das Ganze schon nach einem Zugang zu begeistern, absolut klasse, was die Finnen da zwei Jahre nach dem ebenfalls schon großartigen „Shadows Of The Dying Sun“ aus dem Hut zaubern. Nimmt man das Booklet zur Hand und liest die Texte, wird die musikalische Untermalung noch stimmiger und man befindet sich voll und ganz in der Welt von „Winter’s Gate“. Absoluter Pflichtkauf!