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Insomnium: Anno 1696

Das Magnum Opus der Finnen?
Wertung: 10/10
Genre: Melodic Death Metal
Spielzeit: 50:30
Release: 24.02.2023
Label: Century Media

Es gibt Alben, bei denen weiß man schon beim ersten Durchlauf, dass dies eine richtig große Platte wird, die womöglich zu einem echten Klassiker avanciert. Bei denen man, während man einem Song lauscht, diesen genießt und sich gleichzeitig schon auf den nächsten freut. Spoiler Alert: Insomniums neuntes Studioalbum „Anno 1696“ ist ein solches Werk. Die Finnen haben stets qualitativ hochwertiges Material abgeliefert, doch mit ihrem neuesten Streich übertreffen sie sich tatsächlich selbst und sind vorläufig auf dem Höhepunkt ihres Schaffens angekommen.

Zugrunde liegt wie schon bei „Winter’s Gate“ von 2016 eine Kurzgeschichte von Sänger und Bassist Niilo Sevänen, die zu einer Zeit spielt, in der die fanatische Hexenjagd in Europa auch Finnland und Schweden erreichte. Inspirieren ließ sich Sevänen dafür vor allem von den Torsåker Hexenprozessen, bei denen 1675 an einem einzigen Tag 71 Menschen (65 Frauen und sechs Männer) hingerichtet wurden; außerdem wütete zu jener Zeit in Finnland eine Hungersnot, die Kannibalismus und Kindsmorde nach sich zog und 30 Prozent der finnischen Bevölkerung auslöschte.

Ein interessantes wie finsteres Konzept, bei dem in musikalischer Hinsicht allerdings ein wenig anders als bei „Winter’s Gate“ vorgegangen wurde. Damals komponierte die Truppe einen einzigen überlangen Song, der mit wiederkehrenden Motiven arbeitete, auf „Anno 1696“ hingegen stehen mehrere Stücke zu Buche, die trotz ihres lyrischen Zusammenhangs mehr für sich stehen, zum Teil sehr unterschiedlich sind (im Gegensatz zur bewusst komplett balladesk gehaltenen „Argent Moon“-EP) und doch ein großes Ganzes bilden. Dabei legen Insomnium eine immense kompositorische Reife und Kreativität an den Tag. Die Kunst bei dieser Band bestand immer darin, grundsätzlich nicht allzu viel zu verändern, zumal sie schon lange einen eigenen Stil und Sound pflegen, und nur marginale Änderungen vorzunehmen.

So präsentierte sich vor allem die erste Single „Lilian“ als absolut typischer Insomnium-Song – auch die Band selbst spricht vom „traditionellsten Stück“ auf der Scheibe und sicher mag die Nummer der unspektakulärste Track der Platte sein, auf der anderen Seite ist es halt wieder unfassbar, wie eingängig allein schon die Gitarrenmelodie ist, und songschreiberisch gibt es da letztlich nicht viel auszusetzen. Sehr eingängig zeigt sich auch das stampfende, grimmige „White Christ“ (konsequenterweise als zweite Single ausgekoppelt), bei dem man Sakis Tolis von Rotting Christ als Gast ins Boot geholt hat – das Mainriff ist simpel, aber effektiv und das Gitarrenarrangement im letzten Drittel einfach nur göttlich.

Apropos: Noch besser als auf „Heart Like A Grave“, wo der damalige Gitarrenneuzugang Jani Liimatainen (Ex-Sonata Arctica) erstmals mitspielte, kommt die dreifache Axtpower zur Geltung. Überhaupt ist die Scheibe voller brillanter Details, die nach und nach entdeckt werden wollen. Viele Akustikgitarren, viele (stets geschmackvolle) Keyboards – die Produktion ist massiv; zwar ohne überladen zu sein, dennoch mag so manchem alteingesessenen Fan die Opulenz zu viel des Guten sein, aus rein kompositorischer und musikalischer Sicht ist das jedoch wahnsinnig beeindruckend.

Insbesondere das grandiose „Godforsaken“ überragt einfach alles: Was für eine unbeschreiblich epische, majestätische Nummer voller Weite, Dynamik und Vielfältigkeit. Da wechseln sich rasende Black-Metal-artige Blastbeatsequenzen mit ätherischem Frauengesang (dargeboten von Johanna Kurkela, der Ehefrau von Nightwish-Boss Tuomas Holopainen; tatsächlich das erste Mal, dass Insomnium weibliche Vocals verwenden) und orientalisch gefärbten Passagen ab, da türmen sich ausladende Chöre himmelhoch auf und schweben herrliche Melodien. Teilweise in ähnlicher Machart gehalten wie „Pale Morning Star“ vom Vorgänger (nur noch imposanter) handelt es sich vielleicht gar um den besten Song der Band überhaupt bis dato.

Die Konkurrenz ist allerdings gewaltig, denn vor allem das fantastische, dramatische „Starless Paths“ stellt ebenfalls ein Epos allererster Güte dar, das zum Ende hin auch noch mit halsbrecherischen Gitarrensoli gespickt wurde – völlig geil. Und mit „The Witch Hunter“ haben die Finnen einen weiteren Ohrwurm in petto (dieses Riff lässt einen sofort zucken!), der trotz unverschämter Eingängigkeit viele Schlenker aufweist und somit spannend strukturiert wurde. Bevor es dann zum großen, elegisch-düsteren Finale in Form von „The Rapids“ geht, lassen Insomnium einen mit der von Akustikgitarren und Mellotron geprägten, wehmütigen, wiederum mit wunderhübschen Melodien ausgestatteten Ballade „The Unrest“ ein wenig durchatmen.

Ganz ehrlich: Ich wüsste nicht, wie dieses Meisterwerk dieses Jahr noch überboten werden soll. Ein Album zum Schwelgen und Genießen, zum Entdecken und Eintauchen, gerade wenn man sich ausgiebiger mit dem Konzept befasst. Insomnium zelebrieren die Schönheit der Melancholie so eindrucksvoll und ambitioniert wie nie zuvor, agieren vielseitig wie nie und befinden sich auf einem schwindelerregenden Niveau: Waschechte Hits wechseln sich mit prachtvollen Epen ab und bei allem Bombast verlieren sie doch nie ihren Grundsound aus den Augen. Einzig der Opener „1696“ scheint zunächst noch etwas sperrig, doch auch der wächst mit der Zeit kräftig. Die Höchstnote ist hier vollkommen unumgänglich. Die Artbook-Version enthält noch eine Bonus-EP mit drei weiteren Tracks, die ebenfalls samt und sonders granatenstark sind und die, so Niilo Sevänen, als eine Art „Director’s Cut“ der Gesamtstory angesehen werden können.

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