Dass eine Band ein Album nach sich selbst benennt, ist, wenn es sich nicht um das Debüt handelt, eher ungewöhnlich, doch selten war dies nachvollziehbarer als bei den seit über 35 Jahren durch die Weltgeschichte tingelnden Speed-/Power-Metal-Pionieren von Helloween. Nach der äußerst erfolgreichen „Pumpkins United“-Tour mit sieben Mann im Line-Up, in dem nun auch wieder Michael Kiske und Kai Hansen aktiv sind, ist nun so etwas wie der feuchte Traum aller Kürbiskopf-Fans wahr geworden: nämlich ein neues Studioalbum in eben dieser Siebener-Besetzung. Eine Platte, die dementsprechend sämtliche Facetten der Bandgeschichte erfasst, weswegen der Titel bei der nunmehr 16. regulären Platte absolut Sinn ergibt.
Gleichzeitig bedeutet dies natürlich einen immensen Druck und eine hohe Erwartungshaltung seitens Fans und Presse – nicht jedes Album der letzten Jahre war stets herausragend, die Veröffentlichung der letzten Scheibe „My God-Given Right“ liegt bereits sechs Jahre zurück (so eine lange Pause zwischen zwei Alben gab es bei Helloween zuvor noch nie) – ein großer Wurf soll es dann also bitte jetzt mal wieder sein. Mit der Rückkehr von Hansen und Kiske kommen naturgemäß wieder nostalgische Gedanken an selige „Keepers“-Zeiten auf und mit den beiden Rückkehrern ist nun eine noch breitere kompositorische Palette möglich.
Von diesen hat im Endeffekt zwar lediglich Kai Hansen mit „Skyfall“ einen einzigen songschreiberischen Beitrag geleistet (sieht man mal vom Interlude „Orbit“ ab, das ebenfalls aus Hansens Feder stammt), dieser umfasst dafür jedoch ganze zwölf Minuten und wurde sogar als erste Single ausgekoppelt – ein starkes Statement und ein grandioses Albumfinale, bei dem jede Menge „Keepers“-Vibes aufkommen. Das Epos besitzt sowohl typische Speed-Elemente, als auch eine auflockernde, gemäßigte Passage in der Mitte, außerdem einen hymnischen Mitsing-Refrain und überragende, verspielte Gitarrenarbeit – die totale Vollbedienung, die wohl keinen Fan kalt lassen kann und als großes Highlight zurecht ans Ende des Albums gestellt wurde.
Dennoch brauchen sich die anderen Stücke keineswegs vor dieser Mammutkomposition verstecken. Insbesondere Andi Deris erweist sich einmal mehr als wahre Hitmaschine: Sei es ein kurzer, knackiger Rocker der Marke „Cyanide“, das treibende und ebenso melancholisch angehauchte „Rise Without Chains“, das mit Vocal-Effekten spielende, breitbeinige „Mass Pollution“ oder besonders das bockstarke „Fear Of The Fallen“, das sich mit seinen vielen Wendungen und Stimmungen als progressiv angehaucht erweist und gleichzeitig kräftig Maiden-Schlagseite besitzt – alles komplett unterschiedliche Songs, die jedoch unglaublich eingängige Refrains gemeinsam haben.
Und mit „Best Times“, einer Deris/Gerstner-Coproduktion, liegt ein geradezu unfassbar reinlaufender Gassenhauer vor; man will sicher nicht so weit gehen und von einem zweiten „Future World“ oder „I Want Out“ sprechen, aber dass die Nummer auf den nächsten Konzerten garantiert auf der Setlist steht, dürfte so sicher sein wie das Amen in der Kirche. Die „Yesterday is history, tomorrow is a mystery“-Hansen-Einschübe sind jetzt schon Kult.
Zudem ist gerade dieses Stück ein Paradebeispiel dafür, wie ungezwungen und natürlich die Aufteilung der drei so unterschiedlichen Stimmen von Andi, Michael und Kai gelungen ist. Jeder darf in dem Song ans Mikro und es scheint von Anfang an völlig logisch zu sein, wer welchen Part singt, der Flow ist völlig ungetrübt. Dies gilt jedoch genauso für die anderen Kompositionen; irgendwie ist es schlüssig, dass Kiske bei den „Keepers“-mäßigen Nummern den Hauptteil übernimmt, während Deris dies bei den Stücken tut, die eher an die Spätneunziger-Phase der Band erinnern.
So ist Kiske auch Leadsänger beim eröffnenden „For The Glory“, einem typischen Weikath-Stück, das ein wenig an „Eagle Fly Free“ denken lässt und somit zwar Helloween-Standardkost markiert, doch das muss ja nicht zwangsläufig schlecht sein. Im Gegenteil: Für solche Songs lieben Fans die Band und wenn dabei so eine gelungene Nummer herausspringt, spricht nichts dagegen. Wie mühelos Michael Kiske dabei immer noch die hohen Töne erreicht, ist bemerkenswert. In eine ähnliche Kerbe schlagen auch die ebenfalls von Weikath verfassten (und gleichfalls gelungenen) „Robot King“ und „Down In The Dumps“, während Sascha Gerstners „Angels“ mit erhabener Orgel und sakraler Stimmung leicht düster daherkommt.
Im Gegensatz zu so manchem vorigen Album haben Helloween auf ihrem 16. Rundling kompositorisch ganz klar eine, wenn nicht gar mehrere Schippen draufgelegt. Die Songs sind nicht nur stark (mit Ausnahme des leicht abfallenden Großkopf-Stücks „Indestructible“ – sorry Markus), sondern auch sehr vielschichtig und abwechslungsreich, was zu einem nicht geringen Anteil natürlich an der ebenso effektiven wie authentischen Sängeraufteilung liegt. Doch auch die fantastische Gitarrenarbeit spielt selbstverständlich mit hinein, mit nun drei Klampfen ist volle Power angesagt. Dass die Drums auf Ingo Schwichtenbergs (R.I.P.) ehemaligem Kit eingespielt wurden, ist des Weiteren eine berührende Randnotiz. Richtig starke, Spaß machende und in mehrfacher Hinsicht besondere Platte, die Tradition und Moderne ungezwungen verknüpft und hoffentlich nicht die letzte in diesem Line-Up sein wird.
Anmerkung: Ein Interview mit Bassist Markus Großkopf wird in Kürze auf The-Pit.de erscheinen.