35 Jahre Grave Digger – da gibt es erst einmal mit ganz großem Halali einen herzlichen Glückwunsch. 35 Jahre bedeuten aber auch ein Kommen und Gehen, was die Personalien betrifft, 35 Jahre mit Höhen und Tiefen und sogar der Auflösung von 1988 bis 1991, nachdem der Flop „Stronger Than Ever“ nach der Umbenennung in Digger von den Fans zu recht bös abgestraft wurde; der US-Markt sollte geknackt werden, die heimische Basis aber machte dieses Spiel nicht mit – Accept hatten ein paar Jahre später mit „Eat The Heat“ die gleiche Erfahrung machen müssen.
Wie wenig müde die Grubenschüpper sind, hatten sie ja schon letztes Jahr mit dem superben „Return Of The Reaper“ - nicht zu verwechseln mit der „Comeback-Demo“ „Return Of The Reaper“ von 1991 – nachweisen können. Und natürlich hat sich der Sound von damals gewandelt, nicht nur, was die Aufnahmequalitäten betrifft. Und trotzdem hatte die Zeit damals sein eigenes, ganz besonderes Flair, angefangen bei der Aufbruchsstimmung der teutonischen Metalszene, das Heizen für die Aufnahmen gen Berlin über der DDR-Transitstrecke oder die extra Portionen Gerstenkaltschale aus der Dose. Und ganz gleich, was man von damals halten mag, auch heute noch halten sich Grave Digger-Klassiker in jeder Setlist, auch heute noch dürfte eine Old-School-Teutonenparty ohne „Witch Hunter“ oder „Heavy Metal Breakdown“ nicht komplett sein.
Lieblose Compilations gibt es zuhauf, da wollen sich Grave Digger zum Jubiläum offensichtlich nicht einreihen und haben gleich ein Dutzend plus eins alte Nummern ins Jetzt gezimmert, und besonders überraschend scheppert das eingegravediggerte „ Stand Up And Rock“ vom seinerzeitigen Digger-Unsinn – endlich mit Schmackes auf die Heavy-Metal-Zwölf. Aber auch längst vergessene Perlen wie der „Konzeptalbumauftakt“ und das ganz sicher nicht spaßige „Enola Gay - Drop The Bomb“ sorgen für ein freudiges Stirnrunzeln beim Wiederentdeckungstrip. Fans, die sich Takt für Takt mit den alten Schinken von damals auskennen, dürften sich mit Freuden auch auf die Neuinterpretation von „Shoot Her Down“ - damals ja schon mit Wandlung von der ersten Demo bis zur „Shoot Her Down!“-EP von 1984 – oder auch das ewig junge „Heavy Metal Breakdown“ stürzen - hier zählt die Liebe zum Detail und das gefühlvolle Ritt-brillieren in den Soli.
Old-School-Fans werden sicherlich schon alle Nummern in dem stets gut sortierten Plattenregal ihr Eigen nennen, weswegen auch zwei neue Nummern „My Private Morning Hell“ und „Young And Dangerous“ als Ausblick auf die für 2017 angekündigte neue Scheibe als zusätzlich Kaufanreiz fungieren können, hier allerdings keine Erwähnung finden, sind sie doch nicht Teil der Bemusterung. „Tyrant“ hätte man vielleicht besser und gerne für „Yesterday“ eintauschen können, aber was soll's. Grave Digger zeigen auch nach 35 Jahren, dass man nach der damaligen Sturm und Drang-Frischlingsphase heute noch ungezügelt gut sein kann. Während sich schon viele Teutonenflagschiffe ins Jenseits torpediert haben, da steht den Gladbeckern weiterhin eine schmutzige Fingernagelperiode bevor – hoch den bandeigenen Whiskey auf die nächsten fünf Jahre.