2017 sollte für alle Steven Wilson-Fans ein Festjahr werden. Das fünfte Soloalbum des Meisters ist derzeit im Entstehen begriffen und soll noch in diesem Jahr erscheinen – zunächst jedoch steht noch das ebenfalls fünfte Blackfield-Album an. Endlich, mag so mancher sagen, denn ursprünglich sollte die Scheibe schon im November herauskommen, nach mehreren Verschiebungen des Termins steht nun der 10. Februar als Erscheinungsdatum fest. Beim Vorgänger „IV“ handelte es sich insgesamt um das schwächste Album des Duos und man kann sicher darüber diskutieren, ob von meiner Seite damals nicht auch sieben oder 7,5 Punkte als Bewertung ausgereicht hätten – schlecht war die Scheibe trotz einiger kleiner Makel trotzdem nicht.
Dennoch moserten einige damals, dass Steven Wilsons geringere Beteiligung an dem Projekt dazu geführt habe, dass die Qualität nicht mehr an die ersten beiden Scheiben heranreichen würde, die bei den Fans nach wie vor einen hohen Status genießen. Ich persönlich mag auch die dritte Platte sehr gerne, mit denen viele ebenfalls nicht so recht warm geworden sind – bei „V“ bin ich mir aber sicher, dass sich die meisten Blackfield-Fans einig sein werden, dass hier wieder ein ganz starkes Stück Musik vorliegt, das qualitativ auch an „I“ und „II“ heranreichen kann. Und das, obwohl das Projekt fast aufgelöst worden wäre – aber Steven brachte es wohl nicht übers Herz und hat sich ganz im Gegenteil wieder stärker eingebracht.
Dennoch betrifft das vor allem Arrangements und Produktion – songschreiberisch zeichnet erneut Aviv Geffen für fast alle Songs allein verantwortlich, daher erübrigt sich auch die Debatte, ob es daran lag, dass der Vorgänger nicht mehr so stark war. Dass Geffen ein hervorragender Komponist mit Gespür für Hooklines ist, sollte eigentlich jeder wissen, „IV“ wirkte vielmehr durch die vielen Gastsänger etwas zerstückelt, zumal das Material häufig (was ja auch nicht unverständlich ist) auf den jeweiligen Vokalisten zugeschnitten war und daher streckenweise etwas erzwungen wirkte.
Diesmal wirkt das Gesamtpaket kohärenter und homogener, was einerseits daran liegen dürfte, dass die Stücke diesmal ein zusammenhängendes Thema beinhalten – den Ozean und das Meer, wie auch anhand des Coverartworks von (wem auch sonst?) Lasse Hoile erkennbar, das mit dem vordergründig positionierten Fläschchen gleich auch noch optisch clever eine Brücke zum ersten Output schlägt. Der zweite Grund ist, dass auf Gäste dieses Mal eben weitestgehend verzichtet wird, einzig Folly Tree-Frontdame Alex Moshe tritt bei vier Stücken in Erscheinung, wodurch das Album als Ganzes besser fließt. Was dennoch nicht heißt, dass auf Abwechslung verzichtet werden müsste.
Im Gegenteil, die Stücke sind allesamt sehr unterschiedlich, dabei aber doch ganz klar erkennbar Blackfield in Reinkultur. Schwelgerisches Pathos und bittersüße Melancholie sind allgegenwärtig, auch in den rockigen Nummern wie dem vorab veröffentlichten „Family Man“, dem mit mörderisch eingängiger Gitarrenline versehenen „The Jackal“, dem Anathema-artigen „We’ll Never Be Apart“ oder dem sonnigen „Lately“ – aber immer mit Stil und Geschmack. Das gilt auch für die Kompositionen, bei denen der ganz große Pomp ausgepackt wird: Vor allem „October“ fällt durch sich himmelhoch auftürmenden Orchester-Bombast und spektakuläres Pianospiel auf, während darüber Wilsons Stimme mit tränentreibenden Gesangsmelodien schwebt.
Absolut typisch für die Band ist auch „How Was Your Ride?“ (übrigens einer von dreien von Prog-Rock- und Engineer-Legende Alan Parsons produzierten Songs) – sentimental, aber ebenso zum Sterben schön geraten wie das von Akustikgitarren dominierte geprägte „Sorrys“, bei dem die so unterschiedlichen Stimmen der beiden Protagonisten im Refrain auf wunderbare Weise miteinander harmonieren. Sehr hübsch ist auch das herrlich relaxte Instrumental „Salt Water“, das mit traumhaften Gitarrenharmonien glänzt, die gerne mal an Opeth erinnern.
„Lonely Soul“ hingegen stellt sich als Trip-Hop-ähnlicher Track mit programmierten Drums und hypnotischer Basslinie dar, bei dem neben Aviv Geffen besagte Alex Moshe am Mikrofon auftaucht und eine sehr gute Figur abgibt, passend und stilvoll ist dazu das Plattenrauschen im Hintergrund, während die dezenten Streicher den Kontrast bilden und für die wohligen, charakteristischen Blackfield-Vibes sorgen. Sehr cool und originell! Auch „Undercover Heart“ mutet zunächst leicht, nun ja, experimentell an, erinnert der Rhythmus ohne Witz ein wenig an Tina Turners Bond-Song „Goldeneye“, bevor ein Refrain einsetzt, der wieder mal zu der Kategorie gehört, die einem einfach nicht aus dem Schädel wollen. Gute Beispiele für die interessanten Ideen, die Aviv Geffen ins Songwriting hat einfließen lassen.
Mit der einzigen Wilson-Komposition schließt die Scheibe ab – „From 44 To 48“ ist ein (vermeintlich autobiographisches) Reflektieren über das bisherige Leben des lyrischen Ichs – eine getragene Nummer von überwältigender Schönheit und Größe durchaus mit leichten Porcupine Tree-Anleihen, die einen, besonders wenn die Streicher einsetzen, wie auf einer Wolke dahintreiben lässt. Grandioser Abschluss einer formidablen, vielfältigen Platte mit enormer Hitdichte, der auch Fans, die sich zuletzt vielleicht etwas abgekehrt haben, unbedingt eine Chance geben sollten.