Es war schon ein kleiner Schock, als bereits 2013 bekanntgegeben wurde, dass Barren Earth und ihr Sänger Mikko Kotamäki getrennte Wege gehen würden, da man die Terminkalender nicht mehr in Einklang bringen konnte. Nicht nur Swallow The Sun-Supporter wissen, dass Mikko einen der besten Frontleute im Extrem-Bereich darstellt. Ob Screams, Growls oder emotionaler, gefühlvoller Klargesang: Kotamäki hat die ganze Palette in beeindruckender Manier auf dem Kasten und dass es nahezu eine Mammutaufgabe werden würde, diesen äußerst talentierten Mann zu ersetzen, war klar.
Umso unglaublicher, dass die Truppe dies tatsächlich geschafft hat. Anfang letzten Jahres wurde verkündet, dass Hamferd-Sänger Jón Aldará in Zukunft den Mikroposten bei Barren Earth bekleiden würde, und zumindest alle, denen der Name dieser Formation von den Färöer-Inseln etwas sagt, wussten bereits zu diesem Zeitpunkt, dass adäquater Ersatz gefunden war. Eine bessere Wahl hätte man gar nicht treffen können, denn Aldará dürfte ähnlich viel Talent wie sein Vorgänger besitzen. Gerade in der Disziplin Growling ist er zweifellos einer der besten und imponiert mit grabestiefem, mächtigem, aber stets akzentuiertem Gegrunze, während er in puncto Klargesang sogar einen größeren Umfang als Kotamäki besitzt, weswegen es in diesem Bereich auf „On Lonely Towers“ noch etwas theatralischer und sicherlich auch pathetischer zugeht als auf den beiden vorigen Alben.
So oder so kann sich jeder Barren-Earth-Fan ganz entspannt zurücklehnen, denn jegliche Skepsis, die vielleicht irgendjemand angesichts des Sängerwechsels hatte, ist wirklich völlig unnötig. Dass Aldará jedes Wort ernst gemeint hat, als er seine Aufnahme in die Band kommentierte, stellt er mittels einer eindrucksvollen und engagierten Gesangsperformance unter Beweis – der Kerl ist heiß und hat richtig Bock, das ist zu jeder Sekunde des Albums spürbar.
Auch ansonsten gibt es ein paar kleine Veränderungen im Hause Barren Earth zu verzeichnen: Das dem Titel entsprechende Coverartwork stammt diesmal nicht von Paul Romano wie noch bei „The Devil’s Resolve“, sondern vom legendären Travis Smith, der die Stimmung sehr schön eingefangen hat und mit einem Motiv aufwartet, das ein bisschen was von „Herr der Ringe“ hat und ein wenig an Isengard denken lässt – ohne jetzt eine Diskussion um Hobbit-Metal oder ähnliches entfachen zu wollen…
Auch im musikalischen Sinne ist man einen Schritt weitergegangen. Das Album hat weniger klare Hooklines und ist daher etwas schwerer zugänglich. Die Strukturen sind komplexer und die Wechsel etwas vertrackter, was keineswegs ausschließlich für die beiden über elf Minuten langen Tracks „On Lonely Towers“ und „The Vault“ gilt – das facettenreiche „A Shapeless Derelict“ beispielsweise ist eine durchaus hart zu knackende Nuss. Man sollte sich allerdings nicht von der nun noch progressiveren Schiene, die die Jungs fahren, abschrecken lassen: die Gitarristen Sami Yli-Sirniö und Janne Perttilä haben trotzdem immer noch etliche wunderschöne Melodien und Riffs in petto, während Tastenmann Kasper Mårtenson mit stilvollen Keyboardteppichen für die nötige Atmosphäre und Siebziger-Prog-Rock-Flair sorgt – sie wollen nur mittels mehrerer Durchläufe erst richtig freigelegt werden.
Der Chorus des relativ kurzen „Frozen Processions“ (das im Übrigen ein wenig an „Forlorn Waves“ vom Debüt erinnert) geht noch am schnellsten ins Ohr, ebenso der Refrain des vorletzten Stückes „Chaos The Songs Within“; bei letztgenanntem pendelt Aldará sehr effektiv zwischen Growling und Klargesang. Hingegen setzt man sonst auf viel Abwechslung auch innerhalb der Songs, gerne wird das Tempo angezogen, um im späteren Verlauf doch wieder gedrosselt zu werden. Schon im Opener „Howl“ werden sowohl Blastbeats auf der einen Seite, doch auch schwere doomige Riffs auf der anderen verwendet. „Set Alight“ hingegen wird von einer hübschen, melancholischen Klaviermelodie eingerahmt, in der Mitte jedoch werden alle Prog-Register gezogen.
Letzteres gilt selbstverständlich auch für die schon erwähnten Elfminüter „On Lonely Towers“ und „The Vault“. Beide Songs sind insgesamt eher in langsamem Tempo gehalten, ohne jedoch, dass es zu einer Sekunde langweilig werden würde, dafür verstehen es Barren Earth zu gut, die Songs behutsam aufzubauen. Die tollen Arrangements unterstreichen den Ausnahmestatus der hier agierenden Musiker und lassen diese spannenden Monumentalwerke für den Hörer zur Entdeckungsreise werden. Das erhabene, epische Ende des finalen Songs erweckt mit der sakralen Orgel gar leichte Reminiszenzen an die finnischen Funeral-Doomer Skepticism.
Wer die beiden Vorgänger mochte, macht hier nichts falsch, lediglich ein bisschen Geduld ist wegen der nicht so offenkundig vorhandenen Hooks vonnöten – dafür ist aber die Langzeitwirkung umso größer. Und wer es liebt, ein exzellent produziertes Prog-Album nach und nach zu entdecken, wird ohnehin viel Freude an „On Lonely Towers“ haben. Wirklich toll und beeindruckend, wie diese Band es geschafft hat, Death Metal-, Prog-Rock-, Folk- und Doom-Elemente zu einem ganz eigenständigen Sound zu verschmelzen.
PS: In der limitierten Auflage liegt in Form von „Sirens Of Oblivion“ noch ein weiterer Track vor, der in der Promoversion nicht enthalten war.