Italienische Prog Metaller gibt es ja einige im Business. Auch Azure Agony haben sich irgendwie dem Progressive Metal verschrieben. Irgendwie, weil diese Schublade deutlich zu eng für die Band ist (wie das? Der Punkt bei Prog ist doch, dass es keine Schubladen gibt! - Anm. d. Red.). Neben den genretypischen, hochkomplexen Arrangements und den frickeligen Riffs gibt es auf „India“ auch jede Menge fette Riffs, treibende Drums und, das ist neu bei der Band, einen Sänger, der sich fest in die Songs einfügt. Das erste Album haben die Italiener noch komplett ohne Vocals eingespielt und sich damit nur auf die Musik konzentriert. Nun, beim zweiten Werk, ist alles anders. Der Gesang rutscht in den Vordergrund und verdrängt die Gitarrenarrangements etwas aus der Mitte. Das ist aber nicht so dramatisch, denn zum einen ist der Sänger sein Geld wert und zum anderen bleibt für die Klampfer immer noch leicht genug Luft zum atmen.
Das Ergebnis sind Songs, die man aufmerksam hören muss und nicht einfach so nebenbei laufen lassen kann. Sehr viele Einzelheiten erfährt der Hörer erst nach mehreren Hördurchgängen. Die Frage ist nur, ob alle Zuhörer so lange durchhalten. Tückischerweise sind die richtig anstrengenden Parts der Songs oft in langatmige Sequenzen eingepackt, die sie wohl vor den Hörern schützen sollen. Klar will niemand die Hörer überanstrengen, aber die Erholungsphasen kommen erstens oft unpassend und zweitens nehmen sie sehr oft die ganze Dynamik aus den Liedern.
Starke Stücke kann das Album aber durchaus verzeichnen. „My Last Time On Earth“ glänzt zum Beispiel von der ersten bis zur letzten Note. Das Lied ist großartig gebaut und arrangiert. Ganz ähnlich verhält es sich auch mit der folgenden Nummer, dem Titelsong der Scheibe: „India“ ist nicht nur der namensgebende Song auf dem Silberling, sondern auch das längste Stück darauf. In dem Song haben die fünf Künstler richtig Gas gegeben und so ziemlich alles ausgepackt, was musikalisch möglich war ohne den Titel zu zerstören.
Leider sind, wie oben schon angedeutet, nicht alle Leider auf der Platte auf Dauer so mitreißend. Oftmals hat man es mit Passagen zu tun, durch die man sich nur mit Anstrengung hören kann. Azure Agony schießen zumindest für „normale“ Metalhörer oftmals über das Ziel hinaus. Ein Fluch und gleichzeitig ein Segen für die Combo ist das Multitalent Gabriele Pala. Der Saitenvirtuose, der neben der Gitarre unter anderem auch den Chapman Stick bearbeitet, sorgt für grandiose Spielabläufe und absolut mitreißende Notenreihen. Doch so mitreißend wie sie einerseits sind, so schnell kann man als Hörer aber auch den Anschluss verlieren. Die Kunst des Weglassens wird bei Azure Agony nicht praktiziert.
Wer auf richtig progressive Musik ohne Kompromisse steht, der ist mit den Italienern schon gut beraten. Aus technischer Sicht darf man keinem der Musiker auch nur das geringste vorwerfen. Für Humppa-Feier-Metaller ist der Stoff aber sicherlich viel zu schwer und sperrig.