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Steven Wilson im Konzert (Hamburg, Februar 2018)

Zwischen Leid und Lebenslust, Disco-Dancing und Prog-Epen, zarten Balladen und harten Rockhits

Der Erfolg von Steven Wilson ist wahrlich ein Phänomen. Verdient hat er ihn längst, erfreut er uns doch schon seit über zwei Jahrzehnten mit großartiger Musik, doch für die breite Masse ist das Material eigentlich ja nicht gerade geeignet, wenn man sich ansieht, was für ein Schrott größtenteils im Radio läuft. Die neue Platte „To The Bone“ mag kompakter sein als seine vorigen Alben und kürzere Songs beinhalten, doch dass die Scheibe auf Kommerz gebürstet wäre, lässt sich auch nicht behaupten. Da er nun bei Caroline International untergekommen ist, schwadronierte so mancher sogleich davon, der Meister hätte seine Seele verkauft und befürchtete angesichts poppiger Ausflüge wie „Permanating“ das Schlimmste.

Ein kleines Online-Magazin wie The-Pit.de, das jahrelang Basisarbeit leistete, regelmäßig Konzertberichte, Reviews und Interviews ablieferte, guckt nun in die Röhre, weil sich die großen Medien auf Wilson stürzen – nicht etwa, weil man die Musik toll findet (die meisten dieser Kandidaten dürften bis vor vielleicht zwei Jahren noch nie etwas von ihm gehört haben), sondern weil der Engländer, der im letzten November seinen 50. Geburtstag feierte (auch wenn er mindestens zehn Jahre jünger aussieht), eben gerade „hip“ ist. Da bleibt für die Kleinen leider kein Platz mehr. Schade, aber nicht ungewöhnlich so was; ein wenig Selbstmitleid sei an dieser Stelle gestattet, dies ändert jedoch nichts daran, dass es Wilson gegönnt sei, größere Käuferschichten zu erschließen.
 
In Deutschland ist er anscheinend besonders erfolgreich, was sich auch in Hamburg deutlich zeigt – Markthalle und CCH waren gestern, inzwischen muss es schon das Mehr! Theater am Großmarkt sein, das selbst bestuhlt immer noch Kapazität für über 2000 Zuschauer bietet. Und auch die Show, die Wilson auffährt, wird immer gigantischer und imposanter – wie akkurat verzahnt Visuelles und Auditives vermischt ist, schindet schon ordentlich Eindruck. Nach einem kurzen filmischen Intro, das nur aus Bildern mit Schlagwörtern versehen besteht, die nach und nach durcheinander gemischt werden, und das den Titel „Truth“ trägt (frei nach dem Motto: „Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters“), wird mit „Nowhere Now“ begonnen und beim danach folgenden „Pariah“ die visuelle Komponente erstmals voll ausgeschöpft.

Stevens Gesangspartnerin Ninet Tayeb kann leider nicht persönlich vor Ort sein, dafür wird bei ihrem Part stets übergroß ihr Gesicht auf die durchsichtige Leinwand vor der Bühne projiziert, was eine durchaus intensive Wirkung hat. Danach kündigt Wilson mit „Home Invasion“ einen Titel der vorangegangenen Platte „Hand. Cannot. Erase“ an, das aber auch noch durch das anschließende „Regret #9“ veredelt wird, bei dem Neuling Alex Hutchings zeigen kann, dass er mit seinem Vorgänger Dave Kilminster (tourt inzwischen wieder mit Roger Waters) vollauf mithalten kann; im späteren Verlauf des Gigs greift er sogar Jimmy Page-mäßig kurz zu einem Geigenbogen, mit dem er die Saiten bearbeitet.

Überhaupt zeigt sich die Band spielfreudig wie immer – Keyboarder Adam Holzman und Bassist/Backgroundsänger Nick Beggs sind bekanntlich schon länger dabei und von diesen Routiniers weiß man ohnehin, dass man sich auf sie verlassen kann, während Drummer Craig Blundell präzise wie ein Uhrwerk und mit filigraner Technik trommelt. Der Meister himself zeigt sich locker, sympathisch, humorvoll – und natürlich barfuß wie immer. Soundtechnisch wird es bei den bombastischen Stellen zumindest oben im Balkon mitunter etwas breiig, was schlicht der Größe der Halle zuzuschreiben sein dürfte, alles in allem aber kann man sich nicht großartig beschweren.

Bereits bei seiner ersten Ansage verkündete der charismatische Brite, dass er zwar viel vom neuen Album „To The Bone“ spielen würde, jedoch ebenso kräftig in der Vergangenheit zu wühlen gedenke – das zackige „The Creator Has A Mastertape“ ist dann das erste von immerhin sechs Porcupine Tree-Stücken an diesem Abend, der in der Tat einen grandiosen Querschnitt durch sein Soloschaffen sowie seine Porcupine-Tree-Zeit darstellt. Natürlich stellt sich die Frage, wer im bunt durchmischten Publikum vom 16- bis zum 66-Jährigen, vom Metaller über den Altrocker bis zum Allerweltstypen überhaupt sein altes Material kennt – die Reaktionen bei den ersten Tönen von PT-Stücken könnten frenetischer sein, was deutlich untermauert, dass hier viele Leute am Start sind, die ihn das erste Mal live sehen.

Immerhin wird der Jubel mit der Zeit enthusiastischer, was Steven Wilson erfreut zur Kenntnis nimmt – „We like enthusiasm“, erklärt er und fügt an, dass er bestuhltes Publikum eigentlich gar nicht mag; wäre sicherlich eine Maßnahme, dem Management dann mal zu verklickern, dass man das bei der nächsten Tour nicht mehr macht. Die Resonanz spricht trotzdem für sich, bei „People Who Eat Darkness“, mit verstörendem, aber stimmungsmäßig sehr passenden Video unterlegt, stehen die Leute nach Wilsons Aufforderung teilweise sogar auf, da die Nummer doch ziemlich amtlich rockt.

Mit dem HCE-Epos „Ancestral“ werden die Fans in eine zwanzigminütige Pause geschickt, der zweite Teil wird – man glaubt es erst wirklich, als die Gitarre nach dem Ambient-Intro die ersten Töne spielt – mit einem weiteren Longtrack in Gestalt des PT-Klassikers „Arriving Somewhere But Not Here“ fantastisch eingeläutet, während „Permanating“ das totale Kontrastprogramm bildet. „Michael Jackson, Prince, David Bowie, ABBA, die Bee Gees oder die Beatles – das ist echter Pop und nicht solcher Scheiß wie Justin Bieber, wie manche Leute denken“, erklärt Wilson, was die Konzertbesucher erwartungsgemäß genauso sehen, wie mittels Klatschen demonstriert. „Und wer sagt, es gibt keinen ABBA-Song, den er mag, der lügt“, behauptet er außerdem und fordert die Fans auf, nach vorne zu kommen und zu tanzen. „Guter Pop zelebriert das Leben“, so der Musiker, „und dieses Stück ist eines der wenigen fröhlichen in meinem Repertoire.“

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