Da sich die Herren von Spock's Beard erneut nicht bequemen, in den Norden zu kommen, muss man eben den eigenen Allerwertesten in eine andere Stadt wuchten. Es nützt ja nichts, denn das neue Album „Noise Floor“ ist wieder mal ein absolutes Prachtstück geworden und so ist man geradezu gezwungen, diese Tour mitzunehmen. Dass Nick D’Virgilio die Scheibe eintrommelte, ist zweifellos ein weiterer Grund für die enorme Euphorie, die rund um die Platte bei Fans der Amis entstand, doch ist der 13. Langdreher der Bärte vor allem songschreiberisch einfach nur bockstark. Nick ist leider nicht auf der Tour dabei, am Schlagzeug haben Alan Morse und Co. dafür Ex-Saga-Schlagzeuger Mike Thorne rekrutiert – und dass auch dieser Mann ein Könner an seinem Instrument ist, muss wohl kaum näher erläutert werden. Wer bei Spock’s Beard spielt, sollte schon was auf dem Kasten haben.
Einen weiteren Grund für den Trip ins hübsche niederländische Städtchen Zwolle stellt allerdings auch der namhafte Support dar: The Flower Kings sind ebenfalls schon lange im Geschäft und auch die Schweden haben gerade erst im November ihr brandneues Album „Manifesto Of An Alchemist“ veröffentlicht – genau wie bei ihren Kollegen aus Kalifornien bereits die 13. Studioplatte.
The Flower Kings
Neue Stücke stellt die Band um Gitarrist und Sänger Roine Stolt heute jedoch nicht vor und genaugenommen wird die Bezeichnung „Support“ dem Quintett eigentlich auch nicht gerecht, im Endeffekt handelt es sich wohl eher um eine Co-Headliner-Tour, denn die Skandinavier bekommen mit knapp 90 Minuten genauso viel Spielzeit wie die Truppe aus den USA. Und es dürfte wohl nicht allzu viele Bands geben, die in anderthalb Stunden lediglich vier Tracks zum Besten geben.
Pünktlich um 19 Uhr steht die Formation auf der Bühne des schmucken Clubs Hedon und legt bei von der ersten Sekunde an absolut sahnigem 1A-Sound gleich mal mit „Last Minute On Earth“ los – mit rund elf Minuten noch eine der kürzeren Kompositionen der Blumenkönige. Der Hippie-Fünfer zeigt sich in Topform und bietet eine dermaßen grandiose Performance, dass es sich wie ein Rausch anfühlt. Jeder noch so hohe Ton und jede Gesangsharmonie sitzt, jedes Solo tropft vor Spielfreude und handwerklichem Können, große Emotionen werden freigesetzt – es können wahrlich keine Wünsche offen bleiben.
Der Opener wird gegen Ende clever mit der „Paradox Hotel“-Nummer „What If God Is Alone“ verwoben und beim anschließenden „The Truth Will Set You Free“ baut Tieftöner Jonas Reingold noch ein filigranes kleines Basssolo ein, für das er sich danach sogar entschuldigt: „Danke fürs Zuhören und sorry, dass ich so lange gespielt hat. Aber es gibt ansonsten einfach keine Zeit mehr zum Üben“ – wofür er naturgemäß einige Lacher kassiert.
Ihm zuzusehen macht im Übrigen genauso viel Freude wie Bandboss Roine Stolt oder Frontmann Hasse Fröberg bei der Arbeit zu beobachten, was nicht nur an seinen technischen Fähigkeiten liegt, sondern daran, dass hier endlich mal ein Basssound zu hören ist, wie er sein sollte: Knackig, druckvoll und klar, sodass man jedes Detail heraushören kann, und nicht einfach nur unreflektiert laut und übersteuert, wie es bedauerlicherweise immer wieder bei diesem Instrument auf Konzerten vorkommt.
Was die Saitenfraktion angeht, so steht dasselbe Personal wie schon seit Jahren auf der Stage, an Keyboard und Schlagzeug gibt es allerdings inzwischen Wechsel zu verzeichnen, die offiziell gar nicht kommuniziert wurden. So ist jedoch allem Anschein nach Tomas Brodin (immerhin jahrelang Co-Autor diverser Songs neben Stolt) raus und als neuer Tastendrücker nun der junge Amerikaner Zach Kamins am Start, während hinter den Drums mit Mirkko DeMaio ein junger Italiener den vorigen Felleverdrescher Felix Lehrmann abgelöst hat.
Stolt, der mit seinen inzwischen wieder langen Haaren ein bisschen wie Geddy Lee aussieht, stellt die Bandmitglieder bereits vor dem zweiten Song vor und erklärt schmunzelnd, man sei gerade auf einer Südamerikatour gewesen, bei der etwas besseres Wetter herrschte (auch hier gibt es ein paar sarkastische Lacher, denn in der Tat regnet es und ist ziemlich windig draußen). Erstaunlicherweise erwähnt er selbst mit keinem Wort, dass die Band jüngst eine neue Platte herausgebracht hat, sondern gibt lediglich zu Protokoll, man würde sich auf dieser Tour auf altes Material konzentrieren, „weil wir alte Typen sind“. Er selber mit seinen 62 Lenzen vielleicht (O-Ton Jonas Reingold: „Er hat zwei Weltkriege überlebt“), angesichts der beiden neuen, jungen Bandmitglieder stimmt die Aussage trotzdem nicht ganz – stören dürfte dies im Publikum jedoch wohl niemanden, Hauptsache, es gibt altes Zeug auf die Lauschlappen.
Neben dem erwähnten halbstündigen „The Truth Will Set You Free“ kommen somit noch „In The Eyes Of The World“ und „Stardust We Are“ zum Zuge, beide vom gleichnamigen Album „Stardust We Are“ und jeweils noch einmal elf bzw. 25 Minuten lang. Langweilig wird es trotz solch selbst für eine Prog-Band gigantischer Längen zu keiner Sekunde, man ist einfach nur schwer beeindruckt von einer überragenden, megatighten Darbietung, die von keinem falschen Ton oder verpatzten Einsatz getrübt wird. Ein völlig brillantes, fesselndes Konzert, das einer Ekstase gleichkommt – der Trip nach Holland hat sich jetzt schon gelohnt. Als nettes optisches Gimmick für die Zuschauer balanciert Jonas Reingold auch noch kurz artistisch seinen Bass auf dem Kinn, bevor die Flower Kings die Bühne für Spock's Beard freimachen.
Setlist
Last Minute On Earth / What If God Is Alone?
The Truth Will Set You Free
In The Eyes Of The World
Stardust We Are