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Porcupine Tree im Konzert (Berlin, Oktober 2022)

Das bisher beste Konzert des Jahres

So richtig glauben konnte man es ja nicht, als Porcupine Tree Ende letzten Jahres ankündigten, nach über einer Dekade Pause wieder auf Tour zu gehen und sogar ein neues Album zu veröffentlichen. Zu erfolgreich war Steven Wilsons Solokarriere, zu deutlich seine Worte in einem Interview im Jahre 2018, als der Frontmann eine Rückkehr der Band nahezu kategorisch ausschloss („Ehrlich gesagt, die Chancen stehen bei null, würde ich sagen“), während er Anfang 2021 dann doch wieder erklärte, ein erneutes Zusammenkommen wäre irgendwann im Bereich des Möglichen. Dass der Meister gern mit der Erwartungshaltung der Leute spielt, ist jedoch bekannt, und da die Songs der neuen Platte „Closure/Continuation“ über Jahre hinweg geschrieben wurden, kann davon ausgegangen werden, dass die Reunion-Pläne bereits damals in der Schublade lagen.

Wie dem auch sei, die Anhängerschaft konnte sich über eine neue Studioscheibe freuen und dass nun auch endlich die Konzerte der Tour anstehen, dürfte bei jedem Fan mindestens genauso viele Glückshormone ausgeschüttet haben. In Berlin steht am 21. Oktober das erste von fünf Auftritten im deutschsprachigen Raum an und dass man dafür gern einen kleinen Trip aus Hamburg in die Hauptstadt macht, versteht sich von selbst. Der Veranstaltungsort, die Max-Schmeling-Halle im Prenzlauer Berg, fasst über 10.000 Personen und es ist ordentlich voll, wenn auch nicht ausverkauft. Mit Sicherheit sind auch eine Menge Fans anwesend, die auf Porcupine Tree erst durch Wilsons Solokarriere aufmerksam geworden sind.

Die Stimmung ist jedenfalls sofort prächtig, als die Gruppe, bei denen bekanntlich Bassist Colin Edwin und auch der frühere Tourgitarrist John Wesley nicht dabei sind – sie wurden ersetzt durch Nate Navarro am Tieftöner und Randy McStine an der zweiten Klampfe und Backgroundgesang – mit „Blackest Eyes“, einem der größten Hits, loslegen. Die Befürchtungen, allein aufgrund der Größe der Halle könnte der Sound nicht gut sein, lösen sich glücklicherweise schnell in Luft auf. Dass Steven und seine Mitstreiter absolute Soundfetischisten sind, dürfte bekannt sein, dennoch ist dies unter bestimmten Umständen ja keine Garantie für ein perfektes Klangergebnis.

Man befindet sich sofort in seliger Nostalgie und wiegt sich wie entrückt in den Melodien dieses Klassikers hin und her, danach wendet sich Steven Wilson erstmals ans Publikum mit der Erklärung, man werde heute Abend unter anderem – wenn auch nicht am Stück – das gesamte neue Album spielen. Als daraufhin Jubel aufbrandet, freut er sich: „Ich bin froh, dass ihr das gut findet“ (mit anderen Worten: Dass die Leute nicht nur die alten Sachen hören wollen) und kündigt gleich mal einen Dreierpack, bestehend aus „Harridan“, „Of The New Day“ und dem Riffmonster „Rats Return“, an. Wie man ihn kennt, zeigt er sich humorvoll bei seinen Ansagen. So meint er vor „The Sound Of Muzak“, zu dem er sagt, er habe es damals vor zwanzig Jahren in dem Wissen geschrieben, dass die Musik immer seelenloser und mehr und mehr zu Massenware verkommen und dies sich noch verschlimmern würde ironisch: „Gott sei Dank hatte ich mit dieser Prognose nicht recht“.

Sehr unterhaltsam ist auch, als er vorliest, was für Bandshirts die Leute in den ersten Reihen so tragen (vor allem, wenn er bei einem erklärt, dass er das nicht lesen könnte) und dass man anhand dessen meinen könnte, Porcupine Tree wären eine reine Metalband. Vielseitig wie die Formation ist, zeigt sich das Publikum denn auch sehr gemischt, der Anteil an Metallern ist allerdings wohl allein durch die Verbindung zu Opeth nicht gerade gering. Bis zur Pause gibt es eine Mischung aus neuem Material und Klassikern (wie dem im Prinzip unverzichtbaren „Even Less“), wobei das fluffige „Last Chance To Evacuate Planet Earth Before It Is Recycled“ die größte Überraschung darstellen dürfte. Abgeschlossen wird das erste Set mit „Chimera’s Wreck“, dem längsten Stück der neuen Platte.

Zwanzig Minuten später geht es vielumjubelt weiter mit dem Opener und Titelsong des 2007er Glanzstücks „Fear Of A Blank Planet“, für nicht wenige (so auch den Verfasser dieser Zeilen) das beste Album der Engländer. Insgesamt vier Tracks werden von der Scheibe dargeboten, womit sie abgesehen vom neuen Werk den Löwenanteil des Konzerts ausmachen. Bis auf die zweite größere Überraschung des Konzerts („Buying New Soul“) besteht das zweite Set tatsächlich ausschließlich aus „Fear Of A Blank Planet“- und „Closure/Continuation“-Stoff. Das Highlight bildet dabei das 17-Minuten-Epos „Anesthetize“, von Wilson vorgestellt ein Stück, das den Bandsound gut zusammenfasst, der erste Teil sei „irgendwie groovy“, der zweite Heavy Metal und der dritte von „unser typisch elendigen Stimmung“ geprägt – mit der Tatsache, dass sowohl das PT-Material als auch das seiner Solokarriere stets nicht gerade die fröhlichen Dinge des Lebens beinhalten und auch dementsprechend klingt, spielt er ja gern auf selbstironische Art.  

Mit „Sleep Together“, das Wilson zuletzt auch teilweise bei Solokonzerten spielte, ist dann vorerst Schluss, aber natürlich gibt es vor dem endgültigen Feierabend noch ein paar Zugaben. Was wäre ein Porcupine Tree-Konzert ohne „Halo“ und vor allem „Trains“? Bevor diese Ohrwürmer ausgepackt werden, beglücken Keyboarder Richard Barbieri und Steven Wilson die Zuschauer aber noch mit einer hübschen Version des zerbrechlich-zarten „Collapse The Light Into Earth“, was auch nicht unbedingt zu erwarten war.

„Trains“ erklärt Steven dann als „vielleicht einzigen Hit“ der Band, was natürlich ein ziemliches Understatement ist – er will eben nichts mit Mainstream zu tun haben und trotz beachtlicher Größe ist man auch sicherlich keine Mainstreamband, trotzdem ist es absurd zu behaupten, er hätte sonst keine Hits geschrieben. So oder so ist „Trains“ immer ein wunderbarer Konzertabschluss und unzufrieden kann heute wirklich keiner sein. Klar, es gibt noch jede Menge Songs, die man gerne gehört hätte (so wurde „The Incident“ komplett ausgelassen – in Südamerika zwei Wochen vorher wurde allerdings noch zusätzlich „I Drive The Hearse“ gespielt – und auch „Signify“ wurde links liegen gelassen), aber bei dem elf Alben und diverse EPs umfassenden Backkatalog hat man halt immer die Qual der Wahl.

Zwei Stunden und vierzig Minuten Nettospielzeit geben jedenfalls keinen Anlass zur Kritik und ansonsten wurde sich neben dem neuen Langdreher und den vier Songs aus FOABP bemüht, zumindest fast alle wichtigen Alben mit wenigstens einem Stück zu bedenken. Ein grandioses Konzert, zweifellos das bisher beste des Jahres, trotz der ebenfalls überragenden Transatlantic im Juli in Köln, wobei neben der Performance als solcher nach der langen Abstinenz von Porcupine Tree natürlich auch die Emotionen dabei eine große Rolle spielen. Bleibt nun nur noch zu hoffen, dass „Closure/Continuation“ nicht die letzte Platte der Briten sein wird, sie betonen ja stets, dass sie sich da selbst nicht ganz sicher sind. Aber wer weiß, was für Pläne da nicht vielleicht doch schon wieder in der Schublade liegen…

Setlist:

Blackest Eyes
Harridan
Of The New Day
Rats Return
Even Less
Drown With Me
Dignity
The Sound Of Muzak
Last Chance To Evacuate Planet Earth Before It Is Recycled
Chimera’s Wreck

--- Pause ---

Fear Of A Blank Planet
Buying New Soul
Walk The Plank
Sentimental
Herd Culling
Anesthetize
Sleep Together

--- Encores ---

Collapse The Light Into Earth
Halo
Trains

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